Interferenzen im Waldesrauschen

Interferenzen im Waldesrauschen

von Florian Pelka

Wenn wir auf die Arbeiten von Michael Picke zugehen, verschlingt uns zunächst ein Formenreichtum und eine Vielfalt malerischer Materialität. Zwischen den vielschichtigen Verschränkungen unterschiedlichster Elemente herrscht eine feine Vibration. Es ist eine subtile und oszillierende Balance.

Sind die Formgebilde, die sich vor uns ausbreiten, technischer Herkunft, oder sind es Metamorphosen organischer, naturnaher Vorlagen? Beginnen hier die konturierten, kleinteiligen Formen in ihren Verwacklungen, Verschiebungen und Wiederholungen zu pulsieren? Oder sind wir schon von den suchenden Linien einer fahrigen Handschrift in die malerische Substanz des Farbauftrags, in die ineinander getriebenen Texturen, in sein quirliges, feinstoffliches Eigenleben verführt? Wie Geäst verlaufen Schlieren über diese nervösen Strukturen. Die Anmutung von Natur wird allerdings verunsichert – von den Formen, die die Fläche seriell und sequenzartig besetzen. Hier waren offensichtlich Schablonen am Werk und in ihren Schattenrissen verrät sich ein ganz anderer malerischer Angang als expressive Schilderung von Landschaft. Die Tiefenwirkung und das flirrende Timbre der Bilder verdankt sich dieser künstlich stilisierten Formensprache.

Wenn wir uns auch in dieser konstruierten Landschaft doch immer wieder unter dem Blätterdach eines Waldeswähnen, so wird das Schweben schnell zu einem Summen oder Rauschen. Vor allem verschaffen schließlich die immer wieder auftauchenden Streifen und Horizontalen eine unwiderstehliche Dynamik. Ob es unterbrochene Horizontlinien sind oder technische Markierungslinien? Die delikate Geste wird unterwandert oder durchquert. Das akkurate Laub der wie ausgestanzten Formen wird in Fetzen und Fragmenten übers Bild getrieben, bis diese Formen an Schärfe verlieren und wieder mit dem Hintergrund verschmelzen. In Querrichtung, wie von einem starken Wind, wird Statik immer neu in Unordnung gebracht. Auf diesen Bildern kann keine ausgewogene Komposition paralysiert erstarren oder den Blick mit Traumesschwaden vernebeln. Vielleicht werden sie aber auch nur hinweg gefegt von dem Fahrtwind, in dem sich der Betrachter befindet – die Beschleunigung der modernen Welt lässt ihn womöglich an der eigentlich romantischen Landschaft vorbei schießen.

Die verwobenen Farbräume sind bei allen flirrenden Strukturen, trotz opaker Flächen und schlingerndem Gehölz, jedoch nie undurchdringlich. Die Formen sind faserig und feinporig und können die Sogwirkung der Bilder nicht aufhalten. Pickes Bilder sind Sehnsuchtsorte. Sie sind hier nie eine einfache metaphysische Gegenwelt zu unserer Realität; zu viele Elemente künden von unserem medialen Alltag. Doch unsere dort konditionierte Wahrnehmung wird, statt im heischenden Verlangen nach Information, in ein Stadium der Transition, vielleicht der Transzendenz, entlassen. Mit geschicktem Kalkül der Kompositionen, der Integration von Zufall und Fehler, mit der Verve des explosiven Auftrags und einer Farbigkeit zwischen Neonlicht und Abglanz eines unbekannten Hintergrundleuchtens schafft Picke es, Bilder wie unter elektrische Spannung zu setzen. Diese Art der Energie verrät einen Maler, der sich nicht von utopischer Wirklichkeitsflucht bestechen lässt, oder dem selbstherrlichen Pathos eines expressiven Genies verfällt. Er bleibt auf der Suche nach den Zwischenräumen unserer beschleunigten und rationalen Auffassung von Welt, mit visuellen Mitteln der Malerei.

Das künstlerische Anliegen lässt sich nur ausleuchten, wenn wenigstens ein Streiflicht geworfen wird auch auf die beiden anderen Medien, Musik und Video, in denen Michael Picke seine Vision fortsetzt und rückkoppelt. Die aus dem starren Bildgeviert heraus gelösten Malereien werden auf transparenten Folien und durch Projektionen in den Raum ausgeweitet. In Installationen verbindet der am Schlagzeug ausgebildete Musiker die Rhythmen der Bilder mit entsprechendem Sound. Die elektronisch bearbeiteten Samples verweben sich zu einer audiovisuellen Synthese, die die Dimension der Zeit ins Spiel bringt. Folgerichtig war der Schritt in das Medium Video: Das malerische Material wurde nun im Umkehrschluss auch von der Musik bewegt. Schichtungen der gemalten Bilder setzen sich in Überblendungen fort. Rhythmen der seriellen Formkompartimente bestimmen den Schnitt. Stimmungen der Farbigkeit sind in der virtuellen Form Auslöser für die spezifischen Animationen. Die Erweiterung des malerischen Projektes auch in eine vertonte und virtuelle Dimension trägt bedingungslos dem transformativen Kunstbegriff des Künstlers Rechnung. Dabei will Picke die multimedialen Arbeiten nicht als die abgeschlossene Synthese eines Gesamtkunstwerkes verstanden wissen. Das Werk Michael Pickes hat immer wieder transitorische Eigenschaften; es ist geprägt von der Identität eines Künstlers, der es versteht, sich in der Differenz aufzuhalten.