„blackwood electro“
zur Eröffnung der Ausstellung von Michael Picke am 21.2.2014
Blackwood electro – Sie haben sich heute zu einer Veranstaltung auf den Weg gemacht, die weder von einem Holzhandel ausgerichtet wurde, noch dem Elektronikmarkt neue Kunden zuführen möchte. Wir befinden uns im Kunstverein Kunst & Co und ich darf Ihnen versichern, dass wir für diese Ausstellung das „Co.“ nicht bemühen müssen. Die Verbindung von blackwood und electro führt uns in eine im besten Sinne künstliche Welt. Wir stehen inmitten eines künstlerischen Gebäudes, das einen durchgehend persönlichen und originellen Bauplan hat.
Ich kann nur versuchen, einen oder zwei Schlüssel dafür hervor zu holen. Mein Glück ist, dass ich den Bauherrn dieser Kunst persönlich kenne. Mein Pech, dass es auch viele andere Zugänge gibt. Nur Stützen gibt es von außen nicht, keine Anleihen, derer ich mich eben bedienen könnte. Die Kunst Michael Pickes ist bei aller medialer Vielfalt ein durch und durch immanent entwickeltes, ein autopoetisches Werk.
Schauen wir zunächst auf die Bilder. Sie scheinen uns offensichtlich zu verschlingen, fortzureißen, in die Tiefe zu ziehen und zerstäubt wieder zu entlassen. Wir finden uns bei näherer Betrachtung wieder vor feinst gesprenkelter, perlender und in vielen gleichsam parasitär wuchernden Geflechten bakteriell anmutendem Geblubber. Und stehen doch vor einer filigranen Oberfläche. Was hält diese Wahrnehmungsmaschine am laufen? Immer wieder habe ich das Gefühl davor und dann wieder dahinter zu. Was greift in dieser Fabrik so ineinander, dass sie produktiv bleibt, umso länger wir die Bildräume in Augenschein nehmen. Was wird hier fabriziert?
Ganz klar haben wir es durchaus mit technisch arrangierter Malerei zu tun. Formal gibt es lange Balken, sauber gezogene Linien und nahezu ganz gleichmäßig mit Rolle aufgetragene Flächen. Sie gliedern die immer gleich großen Bildflächen, z.T. gedoppelt und verdreifacht, in verschieden große, rechteckige Kompartimente. Die Statik wird schon von der in dieser Struktur vorherrschenden Horizontalen dynamisiert. Es gibt ganz eindeutig eine waagerechte Ausrichtung. Im Querformat scheint das Bild, oder besser die Bilder, an uns vorbei zu schießen. „Sequenzen“ nennt Picke seine Arbeiten im Oberbegriff: die „Aufeinanderfolge“. Wenn wir der Horizontlinie folgen beschleunigen sich die Sequenzen, rhythmisieren sich, geben uns den Beat oder stoßen uns in den Off-Beat. Horizont heißt (altgriechisch)„Gesichtskreis“. Von unserem Standpunkt in diesem Raum beschleunigen sich die Bilder? Welchem Standpunkt? Wenn ich dann auch mal aufhöre zu sprechen, bleibt hier doch keiner ruhig stehen. Sind wir es, die am Bild vorbeischießen?
Eine andere Art von Halt bieten gestisch aufgetragene Elemente. Wie Äste, Baumstrünke, verwehte Zweige, die sich durch das Bild ranken. Aber diese Elemente im Rechteck des Bildes versprechen noch viel weniger Statik. Die Geste des Malers schießt quer durchs Bild. Immer eruptiv, explosiv, mit schlingerndem Stoß und in gewagten Schwüngen. Picke geht gewaltsam vor. Alles scheint von einem Moment auf den anderen erlaubt. Im Strudel der Bewegung gewinnt das Material die Oberhand -es darf gesudelt werden. Offensichtlich eigendynamisch kommen hier Formen ins Spiel, die einen Preis haben: Vorherige Ordnung und sorgfältige Komposition wird zerstört. Wenn die informellen Schlieren also sprießende Kraft der Natur genannt werden, dann sollte aber ebenso die zersetzende Seite von Natur herangezogen werden. Wo Blüten gesehen werden, bitte ich, sollte auch nicht der Kompost übersehen werden auf diesen Bildern, dicke Farbfladen und wollüstige Vermalung.
Interessanterweise entstehen aus dem Hin und Herwogen von Ordnung und Chaos zwei neue Dimensionen. Wortwörtlich fließt eine neue Richtung aus diesem Wechselgespräch, man könnte auch sagen: aus der Schlacht („an der westfront“, so der Titel eines Bildes). In den Bildern „goldenshower – dach der welt“ und „blue magma“ und „goldene moormolche“ ist die flüssige Farbe, die herab rinnt, streng von der Schwerkraft in vertikale Linien gesetzt worden. Sie schaffen „von selbst“ eine Oben-Unten-Ausrichtung, die Senkrechte, die auch den Betrachter sich aufrichten lässt.
Zum anderen bedeutet der flüssige und lasierende Farbauftrag auch die Erscheinung von sanften Verläufen. Es sind zarte Partien, die nebenbei entstehen, und uns atmosphärisch verführen und einem verlockenden Sog in die Tiefe überlassen. Übermalte Stellen schaffen im beschleunigten und wuchernden Geäst eine Modulation der starken schwarz-weiß Kontraste und der signalartig eingesetzten Farben. Bis hin zu ganz fein abgestuften Kolorit schaffen diese Zwischenräume die starke räumliche Wirkung der Bilder in die Tiefe. Die dünn überrollten Zonen im Hintergrund sind entscheidend z.B. in dem Bild „weiße Streifen“ (ein programmatischer Titel).
Auf unserer Seite der Bilder kommen gesprühte Effekte hinzu, die die gleiche tuffige Materialität haben durch die Verläufe an ihren Rändern. Sie scheinen Glanzlichter auf die Oberflächen zu setzen. So haben wir es mit einem vielfältigen Lichtspiel in diesen Kontrasten und Verästelungen, in dem von Waldesrauschen und quietschenden Farben bestimmten Kosmos zu tun. In dem Blackwood gibt es ganz klar auch einen Ausblick -in eine zwar im Einzelnen fragmentarische Welt, im Ganzen aber auch eine romantische Landschaft.
Wenn das Lichterspiel betrachtet wird, so muss die Oberfläche der Bilder noch ein letztes Mal genauer untersucht werden. Feinmaschig und filigran wirkt sie, wenn man heran tritt. Und dem Maler muss auf die Finger geschaut werden. Was für ein Werkzeug schafft nur diese offenporige, irisierende Wirkung? Es ist technisch raffinierter als dass es nur Rolle, Pinsel und Rakel sein könnten. Die Wirkung ist nicht mechanischer Art. Sie ist elektrisch. Organisch anmutende Formen haben ihre ziselierte Gestalt durch den Einsatz von Schablonen, die feinmaschig die Fläche bereichern. Sie werden nicht nur einmalig benutzt, sondern oft etwas versetzt, gedreht, erneut mit anderer Farbe eingesetzt, eben sequenziell benutzt. Sie sind technische Hilfsmittel und treten zwischen Maler und Material. Es wird mit einem Werkzeug hantiert, das die direkte expressive Geste eher verhindert. Schablonen akkumulieren die Farbe nicht in wilder Mischung. Der orgiastische Farbauftrag wird gebremst (diese Malerwirtschaft hat auch Hemmungen). Dafür sind die Schablonen in ihrer unkonventionellen Verwendung aber ein dem Zufall zugeworfener Spielball: in einem Spiel mit Regeln, aber offenem Ausgang. Schichtungen, Verwacklungen, Vibrationen entstehen, die erst jene eigene Materialästhetik schafft: elektronisches Flimmern in den Urstromtälern. Es ist Bildkultur, die mit allen Raffinessen am Werk ist. Eine Ökonomie, also dem Wortsinn nach: das Gesetz eines Hauses, der Haushalt, also der Wirt produziert. Und er tut dies freigiebig –weit freigiebiger als der genialische Malerduktus, der sich selbst feiert, und fern der Langeweile von strenger Hard-Edge-Malerei, die kaum noch atmen kann vor lauter Konzeption.
Es ist der Wechselstrom zwischen technischen Formen und den organischen Strukturen auf dem Bild, zwischen eigendynamischen Werkzeugen und Materialeinsatz und einer kraftstrotzenden Malweise mit dem hier künstlerisch Mehrwert produziert wird. – Nur im Für und Wider -und das immer wieder- beginnen die Sequenzen zu leuchten: „blackwood electro“ ist in diesem Licht keine nostalgische Idylle, sondern ein ständig sich bewegender Sehnsuchtsort.
Es wäre natürlich eine zu einfache Aufgabe gewesen, Pickes Kunst nur an der Malerei entlang zu deuten und ins rechte Licht zu rücken. Wie Sie wissen, hält der Abend auch noch eine Performance bereit. Es gehört für eine annähernd richtige Beschreibung der Künstlerpersönlichkeit dazu, seine Fähigkeiten auch außerhalb der Malerei immerhin zu erwähnen. Er hat noch andere Transformatoren, als nur die vielen Malerutensilien zur Hand, um sein Projekt eines sequenziellen Kunstwerks zu verwirklichen. Der Strom wird auch an die Musik gelegt, Bilder erweitern sich in den Raum als Projektion von Videos. Damit ist das Medium Zeit die vierte Dimension in diesem Werksgebäude. Horizontale, Senkrechte und Tiefe werden erweitert um eine Linearität jenseits von Raum. Ich darf immerhin andeuten, dass die bevorstehende Live-Show (andere Begriffe würden zu kurz greifen), alles Gesagte beinhaltet.
Mit dem Künstler Michael Picke steht uns ein ausgebildeter Schlagzeuger gegenüber. Sie können aber sicher sein, diese, ich zitiere: Schießbude wird nicht als schulmusikalisches Instrument bedient. Es ist für mich bei ihm ein Mittel der Klangkunst. Michael Picke geht hier in Improvisationen zu Werke, die auch nichts mit dem 4/4 der Populärmusik zu tun haben. Es ist wieder eine Suche nach den Zwischentönen, den Pausen (auch wenn es beim Schlagzeug ja sehr kurze Pausen geben kann). Die Expedition geht auf musikalischem Gebiet mit derselben Subtilität weiter. Vielleicht noch an der Grenze zwischen U- und E-Musik lässt sich am ehesten noch auf Ahnen wie John Cage, aber auch auf Frank Zappa verweisen. In der „blackwooden journey“ wird uns ganz sicher aber auch die Heimat des Künstlers begegnen: der Mann ist nicht nur im tiefsten Schwarzwald geboren, sondern hat dort auch das Schlagzeugstudium absolviert.
Lokalisieren können wir Picke besser an seinem Horizont, -auf dieser waagerechten Linie (in dieser Gegend um Flensburg zumal). Und nur mit dem Nachtsichtgerät der Malerei. (Die hat er in Berlin studiert). Es gibt diese Audiospur in seinem Leben, aber es gibt eben auch die Verbindung zum Visuellen: Es gibt sogar eine Videospur.
Folgerichtig zu seiner sequenziellen Vorgehen in der Malerei hat er die Bilder in die Zeit erweitert, indem er sie digitalisiert hat und als Ausgangsmaterial für Videos benutzt. Diese Clips bestehen nicht aus Standbildern. Die Filme schichten, verschieben, stanzen und fragmentieren die von den Bildern gelieferten Formen und Farben. Die Collage der malerischen Formen geht sozusagen weiter in der Zeit.
Die Musik kommt zu diesem Arrangement hinzu. Das Schlagzeug ist dabei aber eben nicht Begleitinstrument. Im Gegenteil zur sonst üblichen Vertonung von Videoclips, bei dem die Musik auf die Schnitte des Films abgestimmt ist, ist die Musik in dieser Maschinerie tatsächlich der impulsgebende Motor. Mit mir unverständlicher Audio-/Videosoftware wird der Schlag des Schlagzeugs weitergeleitet an das Videoprogramm. Ein Impuls durch den Schlagstock auf einer der speziellen Pads bewirkt, dass entsprechend dem improvisierten Rhythmus die visuellen Sequenzen geschnitten, übereinander geblendet, fragmentiert oder in Loops wiederholt werden. Das Ergebnis ist eine Synchronizität auch zwischen Musik und Malerei. In dieser „blackwooden journey“, so der Titel des Experiments, gestaltet die Musik die Abfolge des Visuellen, nicht umgekehrt. Die Malerei beleuchtet hingegen als Videoprojektion das Live-Geschehen des Schlagzeugspiels –die Musik wird vermittels der Malerei in den Raum erweitert. Musik wird Malerei.
Das große Wort Gesamtkunstwerk drängt sich auf. Die mediale Verquickung legt es nahe, das Projekt als eine Verwirklichung einer leitenden Idee zu sehen. Allein, der abgeschlossene Charakter eines solchen Projekts, die hoheitliche Form eines solchen Ziels, ein übergeordnetes Ideal, widerspräche der gesamten Haltung und Arbeitsweise des Künstlers. Wenn ihm eine Methode der Sequenz in allem künstlerischen Vorgehen unterstellt werden kann, so gilt das auch für die Schichtung der Malerei mit Video und Musik. Hier ist die leitende Idee allenfalls ein unausgesetztes Spiel von Ordnung und Chaos, von Technik und Natur, von Steuerung und Verausgabung. Es ist das Wesen der Kunstmaschine Picke, dass es gar keinen fertigen Bauplan der Fabrik gibt, nur einen Produktionsprozess, der wuchert, schichtet, schöpft, schüttet, presst, rollt, klopft und kratzt. So ist das Haus automatisch gewachsen.
Es wird zu seiner Vervollkommnung hoffentlich noch viele Anbauten geben. Der letzte ist die Lyrik. Sie ist im Katalog zu finden, der zu dieser Ausstellung erschienen ist. Wenn das immer noch nicht der Baustein zum Gesamtkunstwerk ist, dann finden sich hier doch einmal mehr Beweise einer sensiblen Wahrnehmung von Welt. Egal mit welchen Sinnen. Spüren Sie doch mal der synästhetischen Kraft nach von .. blackwoodschwarz schneewittchenschleim.. und der musikalischen Diktion schub ab schub ab verfranzt jetzt kante paint und paint an kante ran. Der Künstler hat auch hier einmal mehr seine Potenz einer fortwährenden Transition unter Beweis gestellt. Willfährige Transzendenz gibt es so wenig wie in den bedingt romantischen Bildräumen der Malerei. Wir werden in dem Wechselspiel der Bewegungen und Ebenen ständig unseres Hierseins erinnnert. Produziert wird hier nicht für einen metaphysischen Zweck. Prinzip Verausgabung steuert die Maschine. Wie tröstlich ist dann im Malerrausch die Vibration der Bilder, weil sie doch eine Aussicht gewähren. Für uns Betrachter ist ihnen die fortwährende Suche nach einem utopischen Ort anzumerken. Bilder, Musik, Video und Lyrik laden uns ein, sich im Dazwischen aufzuhalten. Eine fortwährend transitive Suche, die sich lohnt.